Smarter, schneller, besser

„Die Macht der Gewohnheit“ von Charles Duhigg gehört zu den besten Büchern über Gewohnheiten, die ich je gelesen habe. Sein zweites Buch „Smarter, schneller, besser“ ist im deutschsprachigen Raum relativ unbekannt. Zu Unrecht, wenn ihr mich fragt. Denn das Buch überzeugt auf ganzer Linie.

Ähnlich wie schon „Die Macht der Gewohnheit“ (Empfehlungslink zu Amazon) beginnt „Smarter, schneller, besser“ mit einer eindrucksvollen medizinischen Geschichte.

Ein erfolgreicher Unternehmer fliegt mit seiner Frau nach La Paz. Dort bekommt er gesundheitliche Probleme. Nichts ungewöhnliches, liegt La Paz immerhin etwa 3.600 Meter über dem Meeresspiegel. Doch auch nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten ist der Mann wie ausgewechselt. Früher ein totaler Workaholic, jetzt irgendwie lethargisch. Jeder hatte erwartet, dass er sofort ins Büro eilen würde, doch er bleibt zu Hause. Er sitzt in seinem Sessel, hat kein Interesse mehr an irgendetwas. Doch seine Lethargie geht mit einer Eigenschaft einher, die für derartige Zustände sehr ungewöhnlich anmutet: Er ist nicht unglücklich. Er ist nicht depressiv. Er scheint vollkommen zufrieden, nur ohne jede Ambition, die sein Leben zuvor ausgemacht hatte.

Ein Ärztemarathon beginnt und bald findet man die vermeintliche Ursache. Ein geplatztes Blutgefäß im Striatum. Eine winzige Region im Vorderhirn, die unter anderem für Gewohnheiten, sowie Reiz-Reaktions-Muster zuständig ist. Aber auch für die Motivation.

Bald finden sich andere Menschen, die eine vergleichbare Verletzung im Gehirn haben und auch sie sind völlig lethargisch. Sie sind nicht unglücklich oder depressiv. Wenn man diese Menschen bittet etwas zu tun, dann tun sie es. Sie haben nur keinerlei eigenen Antrieb.

Besonders geflasht hat mich die Geschichte einer jungen Frau. Sie war mit ihrem Vater am Strand und lag unter einem Sonnenschirm. Dann verließ der Vater den Strand und kam erst nach einigen Stunden zurück. Seine Tochter hatte inzwischen einen extremen Sonnenbrand. Die Sonne war in seiner Abwesenheit am Horizont weiter gewandert, so dass der Schatten des Schirms sich veränderte. Seine Tochter war aber viel zu träge, um ihre Position entsprechend des Schattens zu ändern und so lag sie die ganze Zeit in der sengenden Sonne.

Das klingt so unvorstellbar, man kann es sich nicht ausdenken.

Doch was hat das mit Produktivität zu tun?

Was ich an den Büchern von Charles Duhigg liebe ist, dass er verschiedene Anekdoten, Studien und Wissenspuzzleteile zusammenkratzt und sie nach und nach zu einem größeren Bild zusammensetzt. Ein Stil, den man auch aus den Büchern von Malcolm Gladwell kennt. So lernte ich bei Duhigg in diesem Buch einiges über die Toyota-Philosophie, die Entwicklung einer Datenbank beim FBI und eine Entführung, eine professionelle Pokerspielerin und vieles mehr.

Ich habe bereits im ersten Kapitel eine der wichtigsten Lektionen über Produktivität mitnehmen können:

Wir werden produktiv, wenn wir das Gefühl der Kontrolle verspüren.

Wenn wir das Gefühl haben, dass wir mit unserer Handlung wirklich einen Einfluss auf unsere Umwelt haben und etwas verändern können.

Das denkt sich mit meinen eigenen Beobachtungen aus den letzten Jahren. Mit fällt es leicht motiviert zu sein, wenn ich recht gut vorhersagen kann, was meine Arbeit bewirkt. Wenn ich weiß, dass ich Aufgabe XY mache und diese Aufgabe mein Einkommen long-term um XXXX Euro nach oben korrigiert. Es fällt mir leicht ein Kaloriendefizit durchzuziehen, weil ich aus Erfahrung weiß, dass ich die „Macht“ habe auf mein Gewicht Einfluss zu nehmen. Und es fällt mir leicht 1.000 Vokabeln zu lernen, weil ich aus der Vergangenheit weiß, dass ich dazu in der Lage bin diese Aufgabe zu meistern.

Ich sehe sowohl bei mir selbst, als auch bei Freunden, dass Aufgaben leichter werden, sobald man einmal gesehen hat, dass etwas funktioniert.

Produktivität in Teams und Unternehmen

Neben der Produktivität für Individuen befasst sich das Buch auch damit, wie Unternehmen und Teams ihre Produktivität steigern können.

Duhigg macht hier einen kurzen Abstecher nach Japan, das nach dem zweiten Weltkrieg vor großen Problemen beim Wiederaufbau stand. Das Schienennetz war so veraltert, dass es Tage dauerte Rohstoffe nach Tokio zu bringen.

Die Japaner wollten daraufhin das Schienennetz komplett revolutionieren und setzen sich das Ziel den ersten Hochgeschwindigkeitszug der Welt zu bauen. Mit einer Geschwindigkeit, die man zum damaligen Zeitpunkt nicht für möglich gehalten hatte. Um das zu schaffen, musste man mehr tun als nur einige Komponenten des aktuellen Zugsystems auszubessern. Der Zug und auch das Schienennetz mussten komplett neu gedacht werden. Das war die Geburtsstunde des Shinkansen.

Der Autor unterscheidet in seinem Buch zwischen realistischen SMART-Zielen und Stretch Goals, bei denen man visionärer denken muss. SMART Ziele werden vielen Leser:innen ein Begriff sein.

Das SMART Akronym steht für

S Specific

M Measurable (Messbar)

A Achievable (Erreichbar)

R Realistic

T Time-Bound (terminiert)

Diese Ziele machen vordergründig produktiv und führen dazu, dass Menschen sich gut fühlen, wenn sie sie erreichen. Doch sie verführen uns auch dazu sehr beschäftigt zu sein, ohne wirklich etwas zu schaffen.

Das Problem hierbei ist, dass es einfach Spaß macht realistische Pläne für jedes noch so kleine Ziel aufzustellen. Auch wenn das Erreichen dieses Ziels für das große Ganze kaum einen Unterschied macht. Es verführt dazu, dass Menschen in Unternehmen mehr Zeit damit verbringen ihre SMART-Ziele zu planen und To-Do-Listen zu erstellen, nur weil es so viel Spaß macht die To-Do-Listen abzuhaken und das Ziel als erledigt zu dokumentieren. Auch, wenn der organisatorische Part dieses Ziels mehr Zeit frisst als die Aufgabe als solche.

SMART Ziele sind zwar eine gute Sache, können sich aber gleichzeitig zu einem Produktivitätskiller entwickeln.

Eine sinnvolle Ergänzung ist daher ein Stretch-Goal. Ein größeres Ziel, das unrealistisch sein darf und bei dem man komplett neu denken muss, um sich ihm anzunähern.

Fazit

Man wird in das Buch geradezu hineingesogen. Verliert sich in den interessanten Fallbeispielen, Einzelschicksalen und Geschichten und nach und nach sieht man das große Ganze.

Ein weiterer großer Pluspunkt ist, dass ich die meisten Geschichten und Erzählungen noch nicht kannte. Und to be honest: ich lese so viele Sachbücher. Ich lese auch sehr viel über Produktivität und man findet immer wieder wiederkehrende Erzählungen, auf die sich gefühlt alle Autoren berufen. Vor allem zieht der Autor hier auch Beispiele aus Flugzeugkatastrophen heran, ein Themengebiet, das für mich hochinteressant ist. Daher bin ich bereits mit den Hintergründen sehr vieler Flugzeugkatastrophen vertraut. Bei seinem ersten Beispiel (Air-France-Flug 447 31. Mai 2009) begann mein Gehirn sofort zu arbeiten. „Von Rio de Janeiro nach Paris“ las ich und begann mein Gedächtnis zu durchsuchen: „Ja, Strömungsabriss, das wars“, kam mir kurz darauf in den Sinn. Doch obwohl ich den Absturz kannte, schaffte Duhigg etwas, das an dieser Stelle nicht viele Autoren schafften: Er transferierte das Wissen über den Absturz auf eine neue Ebene und konnte so die Brücke zur außerordentlichen Produktivität schlagen.

Das macht meiner Meinung nach ein wirklich gutes Buch aus. Es geht nicht darum, dass ausschließlich Fallbeispiele genannt werden, die man sonst noch nicht kennt. Es geht viel mehr um den Interpretationsansatz, der hier neuen Mehrwert und Input liefert.

Vielen Dank an den Redline Verlag, der mir das Buch als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat.


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