Seth Godin – Practice (Buchrezension)

Seth Godin ist ein bekannter US-amerikanischer Autor mehrerer Sachbücher, der hierzulande nicht wirklich bekannt ist. Mir ist Seth Godin vor allem durch seinen Blog Seths.Blog bekannt, auf dem er übermenschliches Durchhaltevermögen beweist. Aktuell weist sein Blog bei Google fast 10.000 indexierte Unterseiten auf. Er schreibt seit 2002 und wenn ich es richtig sehe ist jeden Tag mindestens ein Artikel online gegangen. Ich wünschte ich hätte einmal in meinem Leben etwas so ehrgeizig durchgezogen, wie dieser Mann seinen Blog.

Godin hat in den letzten Jahren aber auch eine ganze Menge Bücher geschrieben.

Darunter unter anderem:

  • Tribes: We need you to lead us
  • Purple Cow: Transform Your Business by Being Remarkable
  • All Marketers are Liars: The Underground Classic That Explains How Marketing Really Works–and Why Authenticity Is the Best Marketing of All
  • Permission marketing: turning strangers into friends, and friends into customers

Doch bis vor kurzem hat es keines seiner Bücher zu einer deutschen Übersetzung geschafft. Das änderte sich in den letzten Jahren. Denn mit „Practice: Die Methode, dauerhaft kreativ zu sein – auch wenn es manchmal schwerfällt“ und „Das ist Marketing!: So wird man wirklich sichtbar“ haben es zwei Bücher von Seth Godin in deutscher Übersetzung in den Redline Verlag geschafft. Und das gewissermaßen still und heimlich, denn obwohl „Das ist Marketing“ bereits 2019 erschien, blieb der große Bekanntheitsboom für Seth Godin auf dem deutschen Markt aus.

Die Methode, dauerhaft kreativ zu sein – auch wenn es manchmal schwerfällt

Von einem Mann, der es seit 2 Jahrzehnten schafft jeden Tag einen Blogartikel zu schreiben, kann man in Sachen „kreativ sein auch wenn es schwerfällt“ sicher einiges lernen. Denn bestimmt sprühte Seth Godin in den vergangenen 20 Jahren nicht jeden Tag vor grenzenloser Inspiration und Motivation. Aber irgendwie hat er es trotzdem geschafft. Etwas, das mich neugierig gemacht hat.

Das Buch ist in ca. 250 Kapitel aufgeteilt, die sehr kurz sind. Im Schnitt umfasst jedes Kapitel etwa eine Buchseite. Vergleichbar mit den Artikeln auf Seths Blog.

Godins Kernaussage in diesem Buch ist, dass Kreativität nichts magisches ist oder etwas, wofür es ein angeborenes Talent braucht. Viel mehr handelt es sich bei Kreativität um eine Fertigkeit, die man durch einen Prozess regelmäßiger Verbesserung und stetiges Üben – eben durch Practice – erwirbt.

Wir werden nicht als Autor:in, Podcaster:in, Fotograf:in, Webvideoproduzent:in geboren, sondern wir werden dazu, weil wir es tun. Eine Autorin ist eine Autorin, weil sie schreibt und Bücher veröffentlicht. Als dauerhafter Prozess und nicht irgendwann mal eins. Ein Blogger ist jemand, der regelmäßig (im Idealfall täglich) Blogartikel verfasst und eine Youtuberin ist eine Person, bei der das Drehen und Veröffentlichen von Youtube Videos einen großen und regelmäßigen Bestandteil ihrer Zeit ausmacht.

Oder wie er es selbst ausdrückt (Seite 29):

„Kreativität ist eine Handlung, kein Gefühl“

Seth Godin

Konzentriere dich auf den Prozess, statt auf das Ergebnis

Was mir besonders gut gefallen hat, sind Godins Ausführungen zur Authentizität. (Kapitel 125: „Authentizität ist eine Falle“)

„Sei authentisch“ liest man aktuell in jedem zweiten Businessratgeber und auf unzähligen Instagramseiten. Doch das, was häufig als „ich bin so authentisch, ich haue ungefiltert raus was ich sage“ verkauft wird, ist bei vielen Personenmarken gar nicht mehr authentisch. Es handelt sich eher um eine Strategie. Strategien sind im Business ungemein wichtig, sie widersprechen der Idee des „authentisch seins“ aber von Grund auf.

Er greift hier das Beispiel eines Politikers auf, der jeden im Raum beleidigt. Er wirkt authentisch. Doch er ist es nicht, denn sein Wutanfall ist kalkuliert.

Wie authentisch ist „authentisch sein“?

Ich kam nicht umhin an Donald Trump zu denken. Ihm wurde immer vorgeworfen, er habe sich selbst nicht im Griff, beleidige andere Menschen frei heraus und sage einfach das, was ihm gerade in den Sinn kam. Es ist aber nicht abstreitbar, dass eben diese Elefant-im-Porzellanladen-Attitüde Donald Trump bei vielen seiner Wähler:innen sehr beliebt gemacht hat. Er wirkt dadurch ehrlich.

Wähler:innen könnten denken: Wenn Trump es schon nicht schafft sich an einfache Höflichkeitsregeln zu halten, weil er sich nicht verstellen will – wieso sollte er seine Wählerschaft dann bei politischen Themen belügen?

Doch ich bin mir sicher, dass seine „ich sage einfach frei heraus, was ich denke“-Fassade eben genau das ist. Berechnet und kalkuliert. Nicht authentisch.

Die erste Regel des Impro-Theaters lautet: Ja, und…

Im Improvisationstheater geht es vor allem darum, die gegebenen Situationen anzunehmen und etwas daraus zu machen. Schauspieler:innen werfen sich auf der Bühne die Bälle zu. Wenn ein Ball kommt, dann fängt man ihn. Man sagt nicht: „Nein, Stopp, dazu fällt mir nichts ein, ich brauche etwas anderes“. Weil ein „Nein“ die Spannung killt. Stattdessen kommt es darauf an, die Situation anzunehmen und sich zu fragen: „Was kann ich damit machen?“

So überwindet man auch Schreibblockaden (die es laut Godin gar nicht gibt).

1.000 echte Fans

Das Konzept der 1.000 echten Fans ist wohl den meisten geläufig. Falls nicht: Die Idee dahinter ist einfach, dass ein Solokreativer (Künstler:in, Autor:in, Videoproduzent:in, whatever:in) nur 1.000 echte Fans benötigt, um von der Arbeit leben zu können und erfolgreich zu sein (wie auch immer man Erfolg definiert).

Wenn du als Wissensarbeiter:in jedes Jahr einen neuen Onlinekurs rausbringst oder ein Seminar gibst, dann reichen dir 1.000 echte Fans, um davon zu leben. Angenommen du verkaufst deinen Kurs für 199 Euro, so würdest du immerhin 199.000 Euro Umsatz damit machen. Was rund 150.000 Euro netto Umsatz entspricht. Werbekosten wären hierbei sogar zu vernachlässigen, weil du deine echten Fans nicht großartig überzeugen musst, damit sie deinen Kurs kaufen.

Gleiches gilt, wenn du ein Seminar anbietest. Doch was ist, wenn du günstigere Produkte verkaufst?

Vielleicht bist du eine Autorin, die jedes Jahr ein Buch veröffentlicht. In einem traditionellen Verlag, wirst du wohl irgendwo zwischen 1 und 2 Euro pro Buchverkauf verdienen, als Selfpublisherin können es auch mal 7 sein. Dennoch kann man von 7.000 Euro nicht leben, von 14.000 Euro bei 2 Büchern auch nicht. Vielleicht wird es eine Episode und du schreibst jeden Monat ein neues kurzes Buch für 2,99 Euro und verdienst damit rund 17.000 Euro im Monat, wenn jeder Fan jeden Band kauft? So passt es schon eher, ist aber nicht für jeden umsetzbar.

Doch das Konzept der 1.000 echten Fans ist noch viel größer.

Jeder Fan zieht andere Verkäufe an.

Das gilt heute in der Welt der Algorithmen noch viel mehr. Ich hätte lieber einen Instagramaccount mit 1.000 Followern, die total scharf auf meinen Content sind, als mit 10.000 die nur darüber scrollen. Ehrlich gesagt ist das wohl auch das größte Problem der großen Instagramaccounts aktuell.

Denn von 1.000 Followern, die beispielsweise mein Hörbuch streamen oder meinen Blog lesen, kann ich zwar nicht leben. Doch diese 1.000 Follower dienen dem Algorithmus als Referenz, damit ich mit meinem Content noch viel mehr Menschen erreiche.

Das ist es, wie Algorithmen funktionieren. 100 regelmäßige Youtube Zuschauer dienen als Referenz, damit Youtube weiß, wem dieses Video noch vorgeschlagen werden soll.

Dazu müssen wir aber erstmal mit der kleinen Followerschaft anfangen.

Fazit

Insgesamt enthält das Buch viele Häppchen, deren Stärke in dem liegt, was die kurzen Kapitel nicht sagen. Es handelt sich bei dem Buch viel mehr um unzählige Anregungen. Gedankengänge, die Seth Godin seinen Leser:innen hinschmeißt. Er kaut sie aber nicht vor. Stattdessen legt er sie uns hin, als würde er sagen: „Macht damit, was ihr wollt“ und dadurch, dass er vieles weglässt und einiges offen lässt, schließen sich gleich unzählige Gedanken an.

So ging es mir zum Beispiel und ich glaube sogar, dass ich hier auf ein richtiges kreatives Geheimrezept gestoßen bin. Quasi Kreativitätsception in einem Buch über Kreativität.

Das Buch erinnert mich daran, wann ich persönlich Bewertungen zu Podcasts im Podcaststore schreibe, Blogartikel kommentiere, Menschen auf Instagram eine dm schicke. In der Regel tue ich das nicht, weil ich den Content einfach nur super fand und jetzt alle meine Fragen gelöst sind. Das passiert auch, aber selten.

Wichtiger ist, was er nicht schreibt

Viel mehr passiert es aber, wenn sich zu dem Content, den ich konsumiere neue Gedanken angeschlossen haben und ich innerlich das Bedürfnis verspüre, die jetzt mitzuteilen: weil der:die Autor:in das nicht gesagt hat.

Es zerreisst mich innerlich, wenn ich das Gefühl habe, dass da etwas fehlt. Wenn da dieses Vakuum ist.

Und genau das ist es, was dieses Buch so spannend macht. Die Kapitel sind so kurz, dass ich mir ständig denke: Hey, das ist doch wie bei XY… wieso hat er das nicht zu Ende ausgeführt?

So wie das Kapitel über Authentizität, zu dem mir sofort Donald Trump eingefallen ist, doch für Seth Godin war es gar nicht nötig diesen Gedanken auszuformulieren. Und auch wenn Trump für mich ein offensichtliches Beispiel ist: vielleicht hat er gar nicht an ihn gedacht. Auf jeden Fall erstickt er meine ganz persönliche Kreativität beim Lesen nicht damit, dass er zu viel schreiben würde.Seth Godin – Practice (Buchrezension)


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