Die Folgen Sozialer Ungleichheit – Bedeutet Ungleichheit Armut?

Rainer Zitelmann ist eine spannende Persönlichkeit. Historiker, Unternehmer, Bodybuilder und das obwohl er schon in einem Alter ist, in dem viele andere Menschen weniger Tatendrang an den Tag legen. Auf Instagram, wo der 66 Jährige recht aktiv ist, sieht man ihn regelmäßig auf Vortragsreisen, um über die Themen seiner Bücher zu sprechen und generell habe ich manchmal das Gefühl, dass er am Fließband gute Bücher rausbringt.

Ich habe ein paar seiner Bücher gelesen. Unter anderem „Die Kunst berühmt zu werden“ und nun auch „Die 10 Irrtümer der Antikapitalisten“, das mir freundlicherweise vom Finanzbuchverlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt wurde.

Randvoll mit Fakten

Ich habe mir, während ich dieses Buch gelesen habe, über 400 Karteikarten in Anki angelegt, weil es so randvoll mit Fakten ist. Vieles, was Zitelmann schreibt, kannte ich im Groben bereits aus Factfulness. Allerdings geht der Autor hier noch tiefer ins Detail und räumt mit weitverbreiteten Missverständnissen auf.

Allen voran:

🤨🤨 Die reichen werden immer reicher, weil die armen immer ärmer werden

oder auch: Soziale Ungleichheit

Was bedeutet es, dass die Armen immer Ärmer werden? Was bedeutet es, dass die Reichen immer reicher werden?

Zitelmann geht hier wirklich ins Detail und untermauert seine Argumentation mit gut nachvollziehbaren Fakten.

So erklärt er zum Beispiel, dass es einen Unterschied zwischen absoluter und relativer Armut gibt. Wenn man die relative Armut so definiert, dass Menschen als arm gelten, wenn sie weniger als 40% des Medianeinkommens zur Verfügung haben, wird es rein aus statistischen Gründen, niemals keine Armen geben!

Ich erinnere mich, als ich in Südafrika mit einem Bekannten, der seit über 20 Jahren dort lebt, durch die Slums gefahren bin und er mir sagte: „Wenn du das gesehen hast, weißt du, dass es in Deutschland keine armen Menschen gibt“. Trotzdem haben wir auch in Deutschland mit (relativer) Armut zu kämpfen und ich will das gar nicht klein reden.

Es ist aber meiner Meinung nach wichtig, das richtig einzuordnen. Denn Armut in Deutschland hat nichts mit absoluter Armut zu tun.

Bedeutet soziale Ungleichheit automatisch Armut?

In Zitelmanns Buch habe ich noch einmal das gelesen, was ich bereits aus Roslings Factfulness wusste. Die Armut nimmt weltweit in rasantem Tempo ab.

Im Jahr 2000 lag die Quote der Menschen in absoluter Armut bei 27,8% – dagegen lag sie 1981 noch bei 42,7%!

Doch wenn man die Menschen in Industrienationen fragt, ob die Armut zugenommen oder abgenommen hat, sagen in Deutschland nur 11% der Menschen, dass die Armut abgenommen hat. In China hingegen sind 49% der Menschen der Meinung, die Armut habe abgenommen.

Es ist also nicht richtig, dass die armen immer ärmer werden. Das Gegenteil ist der Fall.

Die Menschen werden NICHT immer ärmer

Spannend fand ich, dass Zitelmann darüber schreibt, wie sich die Löhne und die Kaufkraft in den USA im 19. Jahrhundert verändert hat.

In der Zeit von 1820 bis 1860 sind die Löhne jährlich mit einer Rate von 1,6% gestiegen. Gleichzeitig stieg in dieser Zeit aber die Kaufkraft zwischen 60% und 90%! Natürlich abhängig von der Region. Wenn man sich jetzt die inflationsbereinigten Reallöhne anschaut, sieht man, dass sie um 50% gestiegen sind und das, obwohl sich in dieser Zeit sogar die Arbeitszeit verkürzte!

Aber auch im 20. Jahrhundert stehen die USA sehr gut da: Seit 1960 ist die Armutsrate in den USA um 90% gefallen. Betrug sie Anfang der 60er Jahre noch 30%, beträgt sie heute lediglich 3%. Dabei handelt es sich natürlich um die absolute Armut, denn wie oben erwähnt, lässt sich die relative Armut einfach mathematisch nicht so einfach ausmerzen.

🥴 Früher war nicht alles besser

Ich kenne diese „Stammtischdiskussionen“, wenn mir Menschen wieder erzählen wollen, dass es ja früher alles besser war und dass man sich ja heute gar nichts mehr leisten kann. So in Richtung: „Früher hat nur der Mann gearbeitet und trotzdem hatte man ein Haus und einen Garten, heute kann sich ja niemand mehr was leisten“

Darauf entgegne ich dann normalerweise: „Wer hatte denn früher mal eben ein Gerät für umgerechnet 2.000 DM in der Hosentasche?“

Wir vergessen schnell, wie viel Zeug wir besitzen, was es früher einfach nicht gab. Ich habe mich heute nicht besonders schick gemacht, sondern sitze relativ casual gekleidet in einem Café, während ich das hier schreibe und trotzdem trage ich Kleidung für ca. 500 Euro am Körper. Wenn ich jetzt noch meine AppleWatch, mein iPhone und meinen Oura Ring mitrechne, bin ich bei über 2.500 Euro. Meine Eltern wären niemals auf die Idee gekommen an einem ganz normalen Tag einen Pullover anzuziehen, der 10x mehr kostet als der, den man in einem durchschnittlichen Bekleidungsgeschäft bekommt.

Und warum ist das so? Weil wir es heute KÖNNEN! Wir geben unser Geld nun mal für Kleidung und Technik aus, weil das Geld da ist. Dann haben wir aber auch nicht das Recht uns zu beschweren, dass Menschen, die vor 50 Jahren in deutlich minimalistischeren und entbehrungsreicheren Zeiten lebten, ein Haus hatten, während wir in einer Wohnung leben.

Ich meine, mal in einem Buch über Minimalismus gelesen zu haben, dass die meisten Menschen in den 60ern nicht mal einen Kleiderschrank besaßen, weil es sich nicht gelohnt hätte, denn so viel Kleidung hatten sie nicht. Heute haben wir keine Schränke voll mit Klamotten, die wir kaum mehr tragen, aber beschweren uns, dass andere Generationen vor uns mehr hatten?

Auch Zitelmann widerlegt diesen Glauben mit Fakten:

Für eine Waschmaschine musste ein Amerikaner im Jahr 1973 72 Stunden arbeiten. Im Jahr 2000 waren es nur noch 23 Stunden!

Um sich einen Farbfernseher anzuschaffen, musste man in den USA 1973 über 100 Stunden arbeiten und im Jahr 2000 nur noch 21 Stunden.

Heute haben viele Menschen zwei oder mehr Fernseher im Haus. Die Familie, auf die wir heute neidisch zurückblicken, weil sie in den 70ern ein Haus besaß, hatte vermutlich gar keinen Fernseher.

🤦🏼‍♂️ Wer sind die Reichen, die immer reicher werden?

Häufig liest man, dass „die Reichen“ immer reicher werden. Wenn es sich dabei aber um dieselben Personen handeln würde, dann müssten die Familien, die vor 50 oder 100 Jahren bereits reich waren, heute noch reicher sein. Das ist aber nicht so. In der Realität bleibt Vermögen nicht über mehrere Familien in der Familie, weil die Erben das Geld verprassen.

Bei großen Unternehmern wie Rockefeller handelte es sich um Ausnahmetalente, die nur einmal unter Millionen auftreten. Die Kinder dieser Unternehmer haben in der Regel nicht so viel finanzielle Intelligenz, um den geerbten Reichtum noch weiter zu vermehren und so schwindet das Vermögen mit den kommenden Generationen.

Das sieht man auch, wenn man die Forbes Listen der reichsten Menschen vergleicht. Heute befinden sich auf diesen Listen komplett andere Menschen, als vor ein paar Jahrzehnten.

🫨 Lasst euch nicht von der Statistik hinters Licht führen

Ein Gedankenexperiment.

In einem Dorf gibt es 100 Haushalte. Die reichsten 10% sind also 10 Haushalte. In diesem Dorf arbeiten fast nur die Männer. Wenn doch mal Frauen arbeiten, dann eher in schlechter bezahlten Berufen. Aber, wenn sie nicht arbeiten müssen, weil der Mann genug verdient, bleiben sie auch gern zu Hause. Die 10 reichsten Haushalte haben ein Einkommen von 100.000-80.000 Euro pro Jahr.

In einem anderen Dorf gibt es ebenfalls 100 Haushalte. Allerdings arbeiten hier auch die Frauen. Die gutverdienenden Frauen sind häufig mit Männern verheiratet, die mindestens durchschnittlich verdienen. Nur selten bleiben Männer zu Hause, weil ihre Frau ja genug verdient. Die einkommen der reichsten 10 Haushalte liegen hier zwischen 200.000 – 100.000 Euro.

Das erste Dorf lebt in den 1960ern oder vielleicht noch in den 1980ern, wo es sehr selten war, dass Frauen mehr verdient haben als Männer bzw. wo Frauen häufig gar nicht gearbeitet haben, wenn der Mann so gut verdient hat.

Doch das andere Dorf lebt in unserer heutigen Zeit. Heute gibt es auch viele Frauen, die in gut bezahlten Positionen in Konzernen arbeiten, in die Politik gehen, Spezialistinnen sind oder erfolgreiche Unternehmerinnen. Sie sind aber häufig mit Männern zusammen, die ebenfalls gut verdienen, anstatt zu sagen: „Ach, was brauch ich einen Job? Ich bin doch verheiratet“.

Wenn man versteht, dass es heute in der oberen Schicht viel mehr Haushalte mit 2 Einkommen gibt, ist auch klar, wieso diese Bevölkerungsschicht heute viel mehr Einkommen hat.

Wenn eine Familie aus dem ersten Dorf, das in den 60ern lebt, mit einer Zeitmaschine in das jetztige Dorf gekommen wäre, hätten sie es gar nicht unter die 10% geschafft (klammern wir die Inflation jetzt mal aus). Denn sie hätten ja nur die Hälfte an Einkommen zusammengekriegt, wenn die Frau zu Hause bleibt.

Das ist mit Sicherheit nicht der einzige Grund, wieso die oberen 10% heute insgesamt mehr Geld zur Verfügung haben, als vor ein paar Jahrzehnten. Aber man sollte sich vor Augen halten, dass das auch ein Grund ist!

Und sicherlich wünscht sich niemand von uns eine Zeit zurück, in der Frauen nur am Herd standen und keine Chance hatten sich beruflich zu verwirklichen.

Bedeutet Ungleichheit Armut?

Kommen wir noch einmal auf die Ausgangsfrage zurück. Wächst die Armut mit steigender Ungleichheit? Die Antwort ist Nein! Wir sehen einerseits, dass die Armut auf der Welt abnimmt. Aber auch wenn wir einzelne Nationen betrachten sehen wir, dass die Kaufkraft gestiegen ist und die Menschen insgesamt über alle Schichten hinweg reicher werden.

Doch es gibt noch mehr Beispiele, die zeigen, dass wachsende Ungleichheit nicht mit wachsender Armut einher geht.

Zitelmann zeigt das sehr gut nachvollziehbar am Beispiel China.

Hier konnte man sehen, dass das steigende Wirtschaftswachstum zwar die Ungleichheit erhöht, aber gleichzeitig am Ende dadurch alle reicher werden. Einige Menschen wurden in höherem Maße reicher als andere, doch am Ende ist es für alle besser geworden!

Es gibt heute in China mehr Millionäre als irgendwo sonst auf der Welt!

Aus historischer Sicht kann man sogar sagen, dass es eine schlechte Idee ist die Ungleichheit zu verringern. Immer, wenn man das versucht hat, wurde die Bevölkerung am Ende ärmer und lebte in schlechteren Zeiten. Was aber hilft die Lebensbedingungen für die Menschheit zu verbessern? Innovation und Fortschritt!

😍😍 Fazit

Das Buch „Die 10 Irrtümer der Antikapitalisten“ ist für mich vor allem ein Buch, das Hoffnung macht! Denn es hilft uns, uns wieder auf Wissenschaft zu besinnen, statt auf gefühlte Wahrheiten. Es zeigt, dass das, was intuitiv richtig erscheint nicht immer richtig ist. Statt uns auf Utopien zu stürzen, sollten wir uns an historische Fakten halten. Gleichzeitig macht es aber auch einfach Spaß in die Zukunft zu schauen, weil es so großartig ist zu sehen, wie viel besser die Welt geworden ist und wie viel besser sie noch werden wird!


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